"Genossenschaften haben nicht den Ruf, den sie verdient hätten"
Für Karin Autenrieth und Isabell Pröll ist die Arbeit in einer Wohnungsgenossenschaft Familiensache. Hier sagen sie, was die Vorstandsarbeit ausmacht.
Karin Autenrieth (55) ist Vorstand bei der Bau- und Heimstättenverein Stuttgart eG (Bau und Heim). Isabell Pröll (26) absolviert ein duales Studium bei der Postbaugenossenschaft München, nachdem sie ihre ersten wohnungswirtschaftlichen Schritte ebenfalls bei Bau und Heim gemacht hat.
Karin Autenrieth blickt auf eine lange Bildungskarriere beim EBZ zurück, hat sich in Bochum zur diplomierten Grundstücks und Wohnungswirtin weitergebildet und anschließend den Bachelor Real Estate an der EBZ Business School gemacht. Auch bei der Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfiehlt sie die Angebote der EBZ Business School und der EBZ Akademie. Außerdem ist sie Mitglied im Alumni-Verein der Hochschule.
"Man braucht ein klares Ziel vor Augen und den Willen, es zu erreichen"
Frau Autenrieth, Sie sind seit den 90er Jahren in der Wohnungswirtschaft tätig. Wie verlief ihr Werdegang?
Karin Autenrieth: Ich habe Notargehilfin gelernt und bin dann 1995 über eine Banktätigkeit zu einem kommunalen Wohnungsunternehmen in Schwäbisch Gmünd gekommen. Dort habe ich parallel meinen Fachwirt gemacht und bin 1998 zur damaligen SAGA nach Hamburg gewechselt. Ich wollte für drei bis fünf Jahre aus dem kleinkarierten Schwäbischen heraus in die weite Welt. Das war damals für eine Frau mit 30 Jahren gar nicht so einfach.
Viele Frauen gab es damals vermutlich nicht in der Branche?
Autenrieth: Es war etwas Besonderes, als Frau in der Wohnungswirtschaft eine Perspektive zu haben. Ich habe aber bei SAGA gleich in der mittleren Führungsebene angefangen und bin 2001 zur Geschäftsstellenleiterin ernannt worden und war dann für 8.000 Wohnungen und einige Hundert Gewerbeobjekte zuständig. Das war herausfordernd und hat großen Spaß gemacht. Seit 2015 bin ich geschäftsführendes Vorstandsmitglied bei der Bau- und Heimstättenverein Stuttgart eG – meiner Familie zuliebe, denn mein Mann hatte mich damals nach Hamburg begleitet, aber die Bande nach Stuttgart sind nie abgerissen. Die diplomierte Grundstücks- und Wohnungswirtin habe ich berufsbegleitend gemacht, hatte also zehn mal zwei Wochen Blockunterricht am EBZ. Gefolgt von dann noch zwei Semestern Studium bis zum Bachelor. Danach wollte ich eigentlich noch den Master Real Estate Management machen, aber das ergab sich aus familiären Gründen nicht.
Isabell Pröll: Karin ist das beste Beispiel dafür, wie Frauen in eine Männerdomäne gelangen können. Man braucht ein klares Ziel vor Augen und den Willen, es zu erreichen.
Autenrieth: Ich habe mit 30 bei der SAGA angefangen, habe dann mit 32 relativ rasch die Fortbildung am EBZ gestartet und wollte einfach auch aufsteigen. Mir hat man schon damals eröffnet, dass ich durchaus Chancen hätte, eine Geschäftsstellenleitung zu bekommen. Ich habe voll gearbeitet, wurde für die Fortbildung teilweise freigestellt, musste aber auch Bildungs- und Erholungsurlaub nehmen. Wir hatten zwei Wochen am Stück von Montag bis einschließlich Samstag Blockunterricht in Bochum. Samstag war meistens der Klausur Tag. Meine Motivation war einfach, dass ich ein gutes Diplom und später einen guten Bachelor haben wollte. Allerdings war ich zu der Zeit auch Single und hatte Zeit zum Lernen.
"Das Masterstudium bietet Einblicke, die man sonst nicht bekommen könnte"
Was den Frauenanteil in der Wohnungswirtschaft angeht, hat sich einiges getan. Aber die Vorstände sind immer noch sehr männerlastig. Ist das aus Ihrer Sicht eine Motivationsfrage oder eine Generationenfrage?
Autenrieth: Ich wollte ganz früher immer Bundeskanzler werden und mit 30 wollte ich Bundesbauminister werden. Meine Motivation war immer schon da. Und ich wollte immer einen beruflich erfolgreichen und finanziell unabhängigen Weg gehen. In vielen Unternehmen gibt es schon lange die Bestrebungen, etwa Vorstände paritätisch zu besetzen. Aber viele Frauen wagen den letzten Schritt nicht und bleiben zum Beispiel Prokuristin – aus welchen Gründen auch immer. Es bewerben sich deutlich zu wenig Frauen für Positionen in Vorständen, auch wenn es inzwischen natürlich mehr Frauen in Führungspositionen gibt. In NRW und den neuen Bundesländern übrigens mehr als zum Beispiel in Süddeutschland.
Wie kann da ein Programm wie das Frauen-Mentoring-Programm der EBZ Business School helfen?
Pröll: Zunächst möchte ich sagen, dass viele Frauen vielleicht von dem breiten Wissensspektrum, das man in der Wohnungswirtschaft haben muss, abgeschreckt werden, weil ihnen vieles möglicherweise zu technisch ist. Der Mix aus technischen und kaufmännischen Themen plus die weiteren Aufgabenfelder wie etwa Personalführung ist anspruchsvoll. Abseits davon ist es aber auch weiterhin so, dass viele Karriereentscheidungen in einer Lebensphase getroffen werden, in der auch die Familienplanung eine große Rolle spielt. Und es ist ja leider immer noch so, dass viele Frauen, wenn sie mit 30 oder 35 in eine Führungsposition kommen könnten, parallel die Familienplanung im Hinterkopf haben. Das legt ihnen dann Steine in den Weg.
Ein Mentoring von Frauen für Frauen kann da helfen. Bei Fragen der Karriereplanung aber auch bei ganz alltäglichen Fragen der Vorstandsarbeit. Was sind die nächsten Schritte? Wann frage ich meine Mitarbeiter? Wann hole ich mir eine andere Meinung ein? Ich habe den Vorteil, dass Karin bereits Vorstand in der Wohnungswirtschaft ist und dadurch viele Fragen zum Job beantworten kann.
Autenrieth: Man muss jungen Frauen mit an die Hand geben, dass sie ein Netzwerk brauchen, in dem sie jederzeit nachfragen können. Wir haben das jetzt beim VBW in Baden-Württemberg eingeführt, den jüngeren Kolleginnen helfen zu können.
Frau Autenrieth, würden Sie Frau Pröll empfehlen, den Master zu machen?
Autenrieth: Ja! Speziell wenn man in einem kleinen Unternehmen tätig ist, bekommt man durch das Masterstudium viele Facetten mit und erhält Einblicke, die man sonst nicht bekommen könnte. Das ist insbesondere wichtig, wenn man sich auf die Zukunft fokussiert. Trotz meiner Berufserfahrung halte ich das Masterstudium da für sehr wertvoll, auch wegen des Netzwerks, das man dadurch aufbauen kann. Grundsätzlich erweitert eine Fortbildung immer den Horizont und bietet neue Chancen, sich und das Unternehmen weiterzuentwickeln.
Frau Pröll, peilen Sie bereits den Master an?
Pröll: Ja, ich erwäge aber auch andere mögliche Weiterbildungen und schaue, welche Inhalte mich stärker ansprechen. Man kann ja von Bildungsgängen nur profitieren. Ich finde es wichtig, Einblicke in Bereiche zu bekommen, mit denen ich im Alltag nicht so intensiv in Kontakt komme.
"Ich finde es toll, wenn man dafür sorgen kann, dass es den Menschen gut geht"
Sie beide haben Erfahrungen mit dem berufsbegleitenden Studium. Wie halten Sie Ihr Motivationslevel hoch?
Pröll: Also es ist auf jeden Fall eine hohe Disziplin gefragt, um Arbeit und Studium unter einen Hut zu bekommen und nach einem Neun-Stunden-Tag und am Wochenende noch zu lernen. Das schränkt schon ein. Einen Durchhänger hatte ich im dritten und vierten Semester. Aber ich kann mich über mein Ziel motivieren – ich weiß, was ich erreichen will und dass ich das nur mit dem Studium hinbekomme. Darum gebe ich meine Zeit sehr gern fürs Lernen her.
Autenrieth: Kurz zusammengefasst: Sie will Vorstand werden. (lacht).
Pröll: Genau das ist mein Ziel.
Sehen Sie ein Spannungsverhältnis zwischen dem individuellen Streben nach einer Karriere und der Arbeit in einer Genossenschaft?
Autenrieth: Überhaupt nicht! Eine Genossenschaft braucht Kraft Gesetzes und Kraft ihrer Satzung einen Vorstand. Selbstverständlich liegt es an der Person, diese Position mit Leben zu füllen und den Genossenschaftsgedanken gemeinsam mit den Mitgliedern, Mitarbeitern und Gremien zu pflegen. Denn natürlich hat man auch die Möglichkeit zu gestalten. Als Vorstand sind Sie qua Gesetz verpflichtet, Mitglied in Ihrer Genossenschaft zu sein. Somit sind Sie ein Teil des Ganzen und haben genauso einen Anteil an dem Unternehmen wie alle anderen Mitglieder auch. Ich würde ungern einem Unternehmen vorstehen, in dem ich keinen Bezug zu den Eignern hätte. Ich sehe da also kein Spannungsfeld, sondern eher eine Chance, Mehrwert für die Genossenschaft herauszuholen und auf die Bedürfnisse der Mitglieder einzugehen.
Pröll: Genau so sehe ich das auch. Ich finde es toll, wenn man als Vorstand dafür sorgen kann, dass es den Menschen gut geht, zum Beispiel indem man bezahlbaren Wohnraum für Familien schafft. Das wird durch die Nähe zu den Mitgliedern erst möglich. Man ist einfach viel näher dran und kann sich die Wünsche und Sorgen der Mitglieder anhören und darauf reagieren. Das ist persönlicher als in einer Aktiengesellschaft.
Autenrieth: Natürlich muss eine Genossenschaft Geld verdienen, um ihren Mitgliederauftrag zu erfüllen, ihr Personal zu bezahlen und das Geschäft betreiben zu können. Dazu gehört auch eine adäquate Bezahlung des Vorstands, der die Arbeit nicht nur aus intrinsischen Motiven macht. In einer Genossenschaft kommt aber zur Bezahlung hinzu, dass man eine tolle, verantwortungsvolle und soziale Aufgabe hat.
Wie schätzen Sie den Ruf von Genossenschaften ein?
Pröll: Genossenschaften haben nicht den Ruf, den sie verdient hätten. Viele junge Leute kennen den genossenschaftlichen Gedanken gar nicht. Für sie klingt das nach Wohnberechtigungsschein und Sozialwohnung und hat einen negativen Touch. Sogar in München kommen viele trotz der hohen Mieten nicht auf die Idee, über die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft eine Wohnung zu finden.
Autenrieth: Ja, das stimmt. Vor allem im süddeutschen Wohnungsmarkt sind Genossenschaften noch lang nicht da, wo sie stehen sollten. Die Leute suchen bei privaten Vermietern und bei Maklern, kommen aber gar nicht auf die Idee, Mitglied in einer Genossenschaft zu werden. Da müssen wir uns unbedingt vermarkten und nach außen besser in Erscheinung treten.
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