Florian Hess ist - anders als viele Beschäftigte in der Wohnungswirtschaft - ein Quereinsteiger. Über das öffentliche Beschaffungswesen kam er zu seinem jetzigen Arbeitgeber, dem kommunalen Wohnungsunternehmen Verband Wohnen im Kreis Starnberg.
Bereits im Jahr 2022 zeichnete die EBZ Business School Florian Hess als einen der besten Masterabsolventen aus. Nun wurde der 36-Jährige mit dem Studienpreis Wohnungspolitik vom Deutschen Mieterbund und der TU Dortmund ausgezeichnet. Im Interview erzählt Herr Hess, wie er als Quereinsteiger ins Studium gefunden hat und beschreibt, wie Unternehmen der Wohnungswirtschaft von seiner Masterarbeit profitieren können.
Herr Hess, Sie sind als Quereinsteiger in die Wohnungswirtschaft gekommen. Wie kam es dazu?
Hess: Ich komme eigentlich aus dem Umweltbereich, speziell aus der kommunalen Abfallwirtschaft. Dort habe ich mich auf Vergaberecht spezialisiert, was mir die Tür in die kommunale Wohnungswirtschaft geöffnet hat. Für mich war dann relativ schnell klar, dass ich in der Branche bleiben, mich weiterentwickeln und ein wohnungswirtschaftliches Studium aufnehmen möchte.
Quereinsteiger sind eher selten.
Hess: Ich erinnere mich an eine Vorstellungsrunde in einer der ersten Vorlesungen. Dort war ich der Einzige, der nicht in der Wohnungs- bzw. Betriebswirtschaft groß geworden ist.
Wie lange haben Sie denn gebraucht, um am EBZ Ihr BWL-Wissen nachzuholen?
Hess: Im Juli 2019 habe ich mit den Vorkursen angefangen. Insgesamt musste ich sechs Module aus dem Bachelor Real Estate nachholen, um die Zulassungsvoraussetzungen für das Masterstudium zu erfüllen. Zum Glück hatte ich dafür bis zum Ende des ersten Semesters Zeit. Nach einem Dreivierteljahr hatte ich den Stoff dann nachgeholt.
Klingt anstrengend.
Hess: Im ersten Semester sechs zusätzliche Module nachzuholen, war sicherlich kein Spaß. Aber es hatte auch Vorteile. Ich hatte das Wissen ganz frisch parat.
Würden Sie den Quereinstieg empfehlen?
Hess: Auf jeden Fall. Man muss sich natürlich bewusst sein, worauf man sich einlässt. Ein berufsbegleitendes Studium ist Arbeit, vor allem, wenn man mit den Themen vorher noch keine Berührung hatte. Aber wenn man bereit ist, sich da durchzubeißen, ist das auf jeden Fall machbar.
Mit welchen Themen befassen Sie sich beim Verband Wohnen im Kreis Starnberg?
Hess: Wir machen hauptsächlich Bestandsbewirtschaftung und realisieren pro Jahr zwei bis drei Neubauprojekte. Als öffentliches, kommunales Unternehmen unterliegen wir dem Vergaberecht - das ist mein Job als Vergabestelle. Ich bin dafür zuständig, dass die Auftragsvergabe ordnungsgemäß abläuft. Dazu kommen noch ein paar weitere Themen wie etwa der Datenschutz.
Im Kreis Starnberg vermieten sich Wohnungen vermutlich von selbst.
Hess: Wir haben eine sehr extreme Diskrepanz zwischen den Preisen, die am Markt aufgerufen werden und unseren eigenen Mieten. In unseren Mitgliedsgemeinden liegen die Durchschnittsmieten bei bis zu 25 Euro pro Quadratmeter, bei uns sind es um die 6,50 Euro. Die Wartelisten sind deswegen lang.
Und reichen vermutlich bis München.
Hess: Ja, aber wir sind nur in den 13 Gemeinden des Landkreises Starnberg aktiv. Wenn eine Wohnung frei wird, bekommen wir von der Gemeinde oder dem Landratsamt eine Vorschlagsliste mit potenziellen Mietern, die einen Wohnberechtigungsschein vorweisen können. So kommen wir zu unserer Kundschaft. Auf dem Markt vermieten wir ganz wenig.
Der Bedarf an Wohnraum muss enorm sein.
Hess: Ist er, aber die Bautätigkeit lässt unter anderem wegen der steigenden Zinsen nach. Das merke ich daran, dass mehr Firmen an unseren Ausschreibungen teilnehmen. Neulich hatte ich auf einen Architektenauftrag fast 30 Bewerber. Das war früher bei weitem nicht so. Ähnlich sieht es bei Erd- oder Baumeisterarbeiten aus, also den im Bauablauf frühen Gewerken. Der Wettbewerb nimmt zu, weil die Aufträge aus dem privaten Bereich wegbrechen.
Dabei müssen Sie als günstiger, kommunaler Vermieter selbst haushalten und können keine hohen Preise bezahlen.
Hess: Die Quadratmeterpreise sind durch unseren Fördermittelgeber gedeckelt. Bei der Planung bis zur Ausführung müssen wir schauen, dass wir den vorgegebenen Kostenrahmen nicht sprengen. Unser Vorteil gegenüber privaten Bauträgern ist aber, dass wir nicht pleitegehen können. Die Firmen wissen, dass sie von uns auch in Krisenzeiten zuverlässig bezahlt werden. Andererseits ist es schon gerade in der letzten Zeit eine große Herausforderung, mit den steigenden Kosten zu planen. Und das Vergaberecht - mein Thema - wirkt besonders auf kleine Betriebe abschreckend, weil es sehr formalisiert ist. Wir können keinen Auftrag auf Zuruf vergeben. Ich kenne ganz viele kleine Handwerker, die sofort abwinken, wenn sie „europaweite Ausschreibung“ hören. Dabei ist das gar nicht so schlimm, wie man immer meint.
Und da kommen Sie mit Ihrer Masterarbeit ins Spiel?
Hess: Genau. Das Thema wurde im Studium nur am Rande behandelt, obwohl es im sozialen Wohnungsbau sehr wichtig ist. Ich habe daher meine eigenen Erfahrungen aus der Praxis eingebracht. Die Idee war, eine Art Leitfaden zu schreiben und kleineren, kommunalen Unternehmen, die in der Regel niemanden beschäftigen, der auf Vergaberecht spezialisiert ist, eine Hilfestellung zu geben.
Dabei müssten doch gerade Kommunen die entsprechenden Fachleute beschäftigen.
Hess: Es gibt schon teilweise ein Umdenken in den Kommunen, aber das Fachpersonal ist rar gesät, weil das Thema so speziell ist. Die einzige formale Qualifikation für diesen Bereich ist der Fachanwalt für Vergaberecht - aber den kann sich ein kommunales Unternehmen in der Regel nicht leisten.
Ist Ihre Arbeit nun eine Art Kochbuch für Vergabeverfahren? Gibt es Rezepte, die einfach nur abgearbeitet werden müssen?
Hess: Nein, dazu ist das Thema zu vielschichtig. Es geht hauptsächlich darum, die relevanten Gesetze und Vorschriften zu kennen und zu verstehen. Das Vergaberecht ist sehr zersplittert, zum Beispiel in Bauvergaben, Liefer- und Dienstleistungsvergaben, Wettbewerbs- und haushaltsrechtliche Anwendungsebenen und Vorgaben von der EU-Richtlinie bis hinunter zur Satzung. Nachdem der Gesetzgeber immer wieder daran scheitert, das alles vernünftig zu regeln, ist das ein richtiger Dschungel.
Und Sie liefern die Machete, um durchs Dickicht zu kommen?
Hess: Ich zeige vor allem, dass es das Dickicht überhaupt gibt. Der erste Schritt in die richtige Richtung besteht darin, nicht blauäugig in solche Verfahren zu gehen und die rechtlichen Fallstricke zu kennen.
Hand aufs Herz: Ist dieses komplexe Vergaberecht überhaupt nötig? Die Politik verspricht doch gerne „unbürokratische Lösungen“.
Hess: Unbürokratisch und Vergaberecht - das passt nicht zusammen. Die Idee, einen fairen, transparenten Wettbewerb und einen wirtschaftlichen und sparsamen Umgang mit öffentlichen Geldern sicherzustellen ist ja im Grunde nicht schlecht. Natürlich gibt es Aspekte, die das ganze Verfahren sehr komplex machen und die man vereinfachen könnte. Aber das würde dann vielleicht wieder Schlupflöcher für Mauscheleien bei der Auftragsvergabe öffnen. Alles nicht so einfach.