An welchen Stellschrauben können Wohnungsunternehmen und ihre Mieter drehen, um schnell und effizient (Heiz-)Energie zu sparen? Welche technischen Möglichkeiten gibt es, und welche Rolle spielen die Mieterinnen und Mieter? Diesen Fragen widmeten sich namhafte Experten auf einer Pressekonferenz am 4. Oktober 2022 auf der Expo Real in München. Anlass dieser exklusiven Gesprächsrunde auf der größten Immobilienmesse Europas: das zehnjährige Jubiläum der „Techem-Stiftungsprofessur für Energiefragen der Immobilienwirtschaft“ an der EBZ Business School (FH) in Bochum. Deren renommierter Inhaber war selbst vor Ort: Prof. Dr.-Ing. Viktor Grinewitschus.
Er teilte sich das Podium mit Prof. Dr. Daniel Kaltofen, Rektor der EBZ Business School, Techem-CEO Matthias Hartmann, Stefan Bürger, Vorsitzender der GWH-Geschäftsführung, Dr. Arne Kähler, Leiter Forschung und Entwicklung Techem und – als Moderator – Joachim Eckert vom GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen.
Schnell war abgeklärt, dass die Energiefragen der Immobilienwirtschaft derzeit eine Aufschichtung von Problemlagen erfahren: Der Ukrainekrieg hat eine akute Energie- und Versorgungskrise ausgelöst. Deshalb gehe es nun nicht mehr nur um die Dekarbonisierung im Zusammenhang mit dem Klimawandel, sondern auch darum, die europäische Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland zu beenden. Einig waren sich alle darin, dass die energetische Zukunft nicht in einem Zurück zu fossilen Brennstoffen liegen dürfe. Vielmehr seien Energieeffizienz und schnelle grüne Lösungen relevant. Doch bei allem Handeln müssen weitere Faktoren berücksichtigt werden: Inflation, Rezession, gestörte Lieferketten, politische Rahmenbedingungen und der Fachkräftemangel.
Technische Lösungen ja – aber nicht zur Mieterkontrolle
Diese Einflussfaktoren vor Augen, diskutierten die auf dem Podium versammelten Vertreter aus Wissenschaft, Energieunternehmen, Verbänden und Wohnungswirtschaft aus ihrer Sicht die verschiedenen Lösungsansätze. Klar benannt wurden die umfänglichen Einsparpotenziale und Effizienzsteigerungen in der Wohnungswirtschaft. Auch das Mieterverhalten als wesentlicher Faktor für Energieeffizienz wurde deutlich herausgestellt. Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Einführung von Kontrollsystemen wie die „elektronische Heizpetze“, die das Heizverhalten der Mieter verrät und die Möglichkeit eröffnet, starke Verbraucher zu „disziplinieren“ und zum gewünschten Heizverhalten zu drängen. Die Teilnehmer auf dem Podium machten allerdings klar, dass solche Überwachungsmaßnahmen weder wünschenswert sind noch sich mit den Werten einer freiheitlichen Demokratie in Einklang bringen lassen. Sie empfehlen andere Möglichkeiten des Technikeinsatzes, um Mietern ein energetisch kluges Verhalten schmackhaft zu machen.
Techem: Energieströme optimieren
Mit Verweis auf die Problemlagen sagte Techem-CEO Matthias Hartmann: „Schnelles Handeln ist von uns allen gefordert – mit konkreten Maßnahmen und verbindlichen Zielen. Zu diesen zählt es nicht nur, Energie einzusparen. Zu diesen zählt auch der Ausbau von CO2-neutralen Energiequellen, deren Etablierung in der Breite sowie die verbesserte Nutzung der Energie.“ Und er fuhr fort: „Dafür betrachten wir bei Techem bereits alle denkbaren Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Emissionsvermeidung im Gebäudebestand. Denn dieser ist noch immer für 30 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.“ Sein Lösungsansatz: ein effizienter und hochautomatisierter Gebäudebetrieb. Hartmann: „Schaffen wir es beispielsweise, Energieströme optimal zu steuern und regenerative Erzeugungen intelligent aufeinander abzustimmen, können wir bereits die ersten zehn bis 15 Prozent des Energieverbrauchs einsparen.“
Den gleichen Ansatz vertrat Dr. Arne Kähler, Chef der Techem-Forschung: „Wir müssen so schnell es geht weg von fossilen Energieträgern und hin zu Alternativen wie grün produziertem Strom, Wasserstoff oder Fernwärme kommen.“ Seine Auffassung präzisierte er anhand der Daten aus der druckfrischen Techem-Verbrauchskennwerte-Studie 2021 (VKW-Studie). Diese basiert auf der Auswertung von Daten zu Endenergie- und Wasserverbrauch sowie Kosten für Heizung und Warmwasser aus 2,1 Millionen deutschen Wohnungen in rund 176.000 Mehrfamilienhäusern. Die VKW-Studie zeigt große Energieeffizienz-Potenziale auf. Dr. Kähler wie darauf hin, dass 50 Prozent der Wohnungen in Deutschland mit Erdgas beheizt werden. Darüber hinaus sind bei einem Drittel der Mehrfamilienhäuser in Deutschland veraltete Kessel eingebaut. Überdies bilden die Studienresultate überraschenderweise eine geringe energetische Effizienz der bereits installierten Wärmepumpen ab. Dr. Kähler: „Der Hebel für die Betriebsoptimierung bei Wärmepumpen – im Vergleich zu Heizkesseln – ist mit etwa 50 Prozent deutlich größer. Mit Blick auf die Energiewende und dem damit verbundenen hochvolumigen Einsatz von Wärmepumpen für die Versorgung von Wohngebäuden kommen Monitoring und Betriebsoptimierung daher eine erhebliche Bedeutung zu und müssen zwingend flächendeckend zum Einsatz kommen.“
Digitalisierungsstau in den Gebäuden
„Potenzial ist vorhanden“, sagt Grinewitschus. Denn seine groß angelegte „BaltBest“-Studie habe gezeigt, dass sich allein durch eine korrekte Betriebsführung und ein verändertes Nutzungsverhalten viel Energie sparen lasse. „Wir haben uns mehr als 1000 Wohnungen angesehen und alle 110 Sekunden Daten erfasst. So sind wir auf etwa vier Milliarden Datensätze gekommen und können genau erkennen, wo die Potenziale auf der gesamten Wärmekette liegen“, erklärt Grinewitschus.
In die gleiche Richtung weisen die Ergebnisse einer Verbrauchsstudie des Dienstleisters Techem. Demnach laufen in rund einem Drittel der Mehrfamilienhäuser ineffiziente und veraltete Heizungsanlagen. Das ist insofern dramatisch, als dass etwa zwei Drittel der Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern mit fossilen Brennstoffen wie Gas oder Öl befeuert werden. Daten und ein genaues Monitoring seien die wichtigsten Schlüssel zur Lösung, so die Techem.
Das sieht Grinewitschus genau so, erkennt aber ein Problem: „Wir haben einen Digitalisierungsstau in Gebäuden und wissen gar nicht, wie viel Wärme in Wohngebäuden an welchen Tagen und zu welchen Tageszeiten benötigt wird.“
Mietern müsse vermittelt werden, welches Verhalten dabei hilft, Energie zu sparen und wodurch sie verschwendet wird. Die unterjährige Verbrauchsinformation sei ein erster Schritt, doch müsse die Information der Verbraucherinnen und Verbraucher mit leicht verständlichen Handlungsempfehlungen verknüpft werden. „Der Mensch ist das A und O. 20 Prozent der Mieterinnen und Mieter verbrauchen rund anderthalbmal so viel wie der Durchschnitt“, so Grinewitschus.
Aber wer ist nun der wichtigste Spieler, wenn es um den Verbrauch geht – Mieter oder Vermieter? Grinewitschus: „Mieterinnen und Mieter müssen die Heizung richtig bedienen. Öffnen sie ein Fenster, kämpft die Heizung gegen die sinkende Raumtemperatur an. Ein auf Kipp gestelltes Fenster erhöht den Energieverbrauch um rund 600 Prozent.“
Grinewitschus setzt auf intelligente technische Lösungen: „Niemand muss Ingenieur werden, um richtig heizen zu können, und einen Führerschein fürs Mieten wird es auch nicht geben. Alles, was durch manuelle Fehlbedienung falsch gemacht werden kann, kann durch intelligente, robuste Technik ersetzt werden, wie das ABS die Stotterbremse beim Auto abgelöst hat.“
Doch auch die Hauseigentümer müssen handeln: „Das Drama beginnt im Heizungskeller und muss durch eine Limitierung der möglichen Temperaturen bekämpft werden“, sagt Grinewitschus. „Ich kann den Mietern nicht fast unendlich viel Leistung zur Verfügung stellen und dann erwarten, dass sie ganz präzise am Heizungsventil drehen.“ Grinewitschus verdeutlicht das Dilemma mit einem Bild: „Das ist so, als würde ich mit einem 150-PS-Motorrad in einer Spielstraße fahren.“
Unterstützung für Mieter und Mieterinnen
„Es braut sich ein perfekter Sturm zusammen.“ So leitete Stefan Bürger, Vorsitzender der GWH-Geschäftsführung, sein Statement ein – und warb damit für einen Perspektivwechsel in der Diskussion. Die GWH steht für rund 50.000 Wohnungen und dort wohnenden 130.000 Menschen. Bürger: „Wohnen ist ein Grundbedürfnis, und bei den Mietern herrscht die blanke Angst. Wir mussten unser Kundencenter mit Personal verdoppeln, weil die Zahl der Anrufe besorgter Menschen explodiert ist. Für uns als Wohnungsunternehmen lautet unser erstes Ziel, den Menschen die Möglichkeit geben, auf beherrschbare Kosten zu kommen. Die Dekarbonisierung stellt sich da deutlich dahinter an.“
Er berichtet, dass die laufende Inflation gerade den GWH-Mietern die Einkommen wegfresse. Man habe erhöhte Kosten in einem der wesentlichsten Lebensbereiche, dem Wohnen, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite weniger Kaufkraft über fallende Realeinkommen. Bürger: „Hier geht es jetzt nicht mehr darum, Heizungsverbräuche, CO2-Tonnen oder technische Lösungen und darüber zu diskutieren, welcher Kessel mehr bringt, sondern wir müssen die Menschen mitnehmen auf dem Weg, klug mit Energie, Wärme und allen sonstigen Parametern umzugehen.“ Aus diesem Ansatz heraus hat die GWH zwei konkrete Maßnahmen ins Leben gerufen. So hat sie das GHW-Wohnversprechen veröffentlicht. Darin verspricht sie den eigenen Mietern und Mieterinnen u.a. einen nebenkostenbedingten Kündigungsverzicht.
Die zweite Maßnahme ist ein Pilotprojekt, dass die GWH gemeinsam mit Techem durchführt. Hierbei wird in 800 Wohnungen der hessischen Wohnungsgesellschaft der Einsatz von smarten Thermostaten untersucht. „Wir untersuchen drei Ebenen. Zunächst werden die Heizungskeller digitalisiert. Auf der zweite Ebenen werden in den Wohnungen smarte Thermostate verbaut, die auf den Smartphones der Mieter Heizverlaufskurven usw. abbilden. Auf der dritten Ebene verknüpfen wir Wohnungs- und Heizungsebene“, so Bürger. Er hofft, auf diese Weise 15 bis 25% Heizenergie einzusparen. Das Projektziel lautet, „der deutschen Wohnungswirtschaft eine IT-Lösung anzubieten, die eine clevere, schnellere, wirtschaftliche Alternative zur Wärmedämmung oder zur eh nicht vorhandenen Wärmepumpe zur Verfügung stellt; also eine Alternative zu rein bautechnischen Lösungen.“ Diese IT-Lösung ließe sich kostengünstig, mit relativ geringen Investitionen und - angesichts des Fachkräftemangels ein guter Punkt: mit bestehendem Personal einrichten.
Bei diesem Projekt geht es auch darum, den Mieter mit technischen Lösungen dabei zu helfen, ein anderes Verhältnis zur Beheizung der Wohnung herzustellen. Genau darin sieht Bürger die Aufgabe der Wohnungswirtschaft. Stefan Bürger: „Der Mensch ist das A und das O – und der Mensch ist gerade in Not und braucht Unterstützung.“
Der GWH-Chef ließ es sich auch nicht nehmen, beim Thema Energiewende den Finger in die Wunden zu legen: Die Investitionsseite könne die Wohnungswirtschaft zwar lange gehen – aber eben nur einmal. „Wenn wir jetzt in das Thema Energie einsparen gehen, habe ich nicht mehr die Möglichkeit, meine Wohnungen altengerecht umzugestalten, obwohl das vor dem Hintergrund des demographischen Wandels mal ein Thema war. Alles, was ich jetzt in die Wärmedämmung investiere, kann ich nicht mehr in Neubau investieren. Sie merken, wir geraten in Zielkonflikte in der Branche, die in der Menge den perfekten Sturm bringen.“ Die Lösung der Zielkonflikte bräuchte als Grundvoraussetzung ein klares politisches und organisatorisches Rahmenkorsett „und nicht Gesetze, die relativ schnell unseren Dekarbonisierungsplan, den wir hatten, zerrütten, weil sie uns verpflichten, bis Ende 2024 einen hydraulischen Abgleich in allen unseren Wohnungen machen zu müssen.“ Vielmehr wären Gesetze notwendig, die unternehmerische Freiheiten geben, damit jedes Unternehmen und jeder Immobilienbesitzer für sich Schritt für Schritt dahin kommt, passende Lösungen für die Mieter, für die jeweilige Wirtschaftskraft aber auch für die Märkte, in denen sie aktiv sind, zu finden.
Erlebt die Kaderschmiede EBZ einen Run?
Tritt man einen Schritt zurück und hält sich die Aussagen der Wissenschaftler bewusst, zeigt sich, wie zentral die Bedeutung eines Energiemonitorings im Wohngebäudebestand ist. Dabei ist es egal, ob es um gut eingestellte Heizungsalt- und -neuanlagen geht, dem Management der energetischen Erneuerung in den Heizungskellern, die Implementierung neuer Energien und neuer Wärmetechnik – es braucht die gut ausgebildeten Fachkräfte, die dies bewerkstelligen können. Moderator Joachim Eckart fragte daher etwas provokant, ob die „EBZ Business School als Kaderschmiede der Immobilienwirtschaft nun einen Ansturm erlebe. Das verneinte Prof. Dr. Daniel Kaltofen: „Wir sind zufrieden mit der Auslastung unserer Programme, aber es könnte mehr sein.“
Prof. Kaltofen führte die Gründe aus: „Wir sind ständig mit den Wohnungsunternehmen im Kontakt. Es scheint so zu sein, dass die Option Studium in der akuten Problemlage nicht oberste Priorität genießt. Das Studium dauert rund drei Jahre, doch die Fachleute fehlen in den Wohnungsunternehmen heute. Deshalb entsenden die Unternehmen nicht massenhaft Mitarbeiter für ein Studium zu uns, sondern fragen verstärkt kürzere Bildungsangebote nach. Wir als EBZ haben darauf reagiert und entsprechende Angebote geschaffen, wie etwa das Werkstudierendenprogramm oder das Klimacamp, wo es der Bochumer Immobilienhochschule mehrfach gelang, Unternehmen und junge Menschen zusammenzubringen.“ Auch berufliche Weiterbildungsangebote beispielsweise aus der EBZ Akademie werden sehr gut genutzt. Prof. Kaltofen: „Ich bin mir aber sicher, dass mittelfristig das Studienangebot seinen großen Nutzen für die Wohnungswirtschaft entfalten und eine entsprechende Resonanz erfahren wird.“
Hier der BaltBest-Abschlussbericht zum Download.