CO2-Steuern und explodierende Energiekosten: Die Heizperiode des Winters 2021/22 dürfte außergewöhnlich teuer werden und gibt doch nur einen Ausblick auf das Preisentwicklungsgeschehen der nächsten Jahre. Dennoch gibt es für Wohnungsunternehmen und Mieter gute Nachrichten: Mit geringinvestiven Maßnahmen sind Energie-Einsparpotenziale von 10% bis 20% je Liegenschaft drin. Die Stellschrauben sind: verbesserte Gebäudetechnik, optimierte Betriebsführung, adäquates, technikunterstütztes Mieterverhalten. Was im Detail getan werden muss, gab Prof. Dr.-Ing. Viktor Grinewitschus von der Immobilienhochschule EBZ Business School (FH) Ende 2021 auf der Fachtagung zum Abschluss des Forschungsprojekts „BaltBest“ bekannt.
Ausführliche Informationen bietet der BaltBest-Abschlussbericht.
„Mit BaltBest, dem größten Forschungsprojekt seiner Art in Deutschland, wurde Terra incognita beschritten“, sagt EBZ-Vorstand Klaus Leuchtmann. „Denn es beschäftigt sich damit, was in einem Wohngebäude im Wechselspiel von Mensch und Technik geschieht. BaltBest unterstreicht: Es ist für das Erreichen der Klimaschutzziele in der Immobilienwirtschaft absolut essenziell, dieses Wechselspiel stärker in den Blick zu nehmen.“ Prof. Grinewitschus fungierte als Leiter des interdisziplinären, vom Bundeswirtschaftsministerium mit 1,1 Millionen Euro geförderten Forschungsprojekts (siehe unten). BaltBest untersuchte Heizungsaltanlagen im Wohngebäudebestand und stellte das Zusammenwirken von Heizanlagentechnik, Bauphysik und Mieterverhalten in den Fokus. Über drei Jahre wurde ein hochkomplexes Monitoring durchgeführt, das unter anderem mehr als 7000 Sensoren, 4 Milliarden Messwerte, 1200 Haushalte und über 250 Befragungen umfasste. Damit liefert BaltBest einen in Breite und Tiefe bisher nicht dagewesenen Einblick in die Wärmekette von Bestandsliegenschaften.
Die Resultate, die das Team von Prof. Grinewitschus vorstellte, weisen beeindruckende Einsparpotenziale aus. In Summe ergeben sich in der Wärmeerzeugerdimensionierung, der Ausgestaltung der Anlagentechnik, der Anlagenbetriebsführung und der Nutzerassistenz Einsparpotenziale von 10 % bis 20 % je Liegenschaft. Je nach Problemlage ergab sich in den unterschiedlichen Liegenschaften:
- 10% Energieeinsparung durch die Optimierung der Betriebsführung.
- 14% Energieeinsparung durch Kesseltausch.
- 10% Energieeinsparung, verwandelt man die Vielverbraucher unter den Mietern in Normalverbraucher.
- Ein bis zu 10% erhöhter Jahresgasverbrauch bei 79% aller Kessel deshalb, weil sie im Sommer (Juni – August) nicht abgeschaltet, sondern aktiv waren.
„Die Einsparpotenziale könnten erschlossen werden“, sagt Prof. Grinewitschus, „würde nur die wirklich benötigte Ressourcenmenge konsumiert. Schlecht dimensionierte und eingestellte Anlagen schaffen Verschwendungspotenziale, die die Verbräuche steigen lassen. Die Energievergeudung beruht im Wesentlichen auf einer Mixtur aus Überkapazitäten und einem sorglosen Umgang mit Heizung und Wohnungslüftung durch die Mieter.“ BaltBest macht deutlich, wie stark sich Technik und Mieterverhalten, aber auch Mieter untereinander wechselseitig beeinflussen. Stark streuende Verbräuche zwischen Wohnungen im selben Gebäude in fast allen Liegenschaften dokumentieren dies.
Ertragreiche Diskussion auf der Fachtagung im EBZ
In der Abschlussdiskussion wurden auf der Tagung folgende Handlungsfelder herausgearbeitet:
- Aktuell können Mieter ihren Energieverbrauch – auch und vor allem im Vergleich zu ihren Nachbarn – nur schwer einschätzen. Hier bedarf es eines viel stärkeren Feedbacks für die Mieter zu aktuellen Verbräuchen und Einsparmöglichkeiten. Die Kommunikation der Wohnungsunternehmen mit ihren Mietern muss verstärkt in diese Richtung führen.
- Mit Smart-Home-Systemen – sofern sie bedienfreundlich sind! – lässt sich die Raumheizung besser an den Bedarf anpassen und kann gespart werden. Doch es nutzt wenig, wenn nur ein Mieter im Mehrfamilienhaus smart heizt: Das Heizverhalten der anderen kompensiert meist die Einspargewinne. Abhilfe schafft hier eine umfassende Digitalisierung der Anlagentechnik, also eine smarte Gebäudetechnik. Nur so kann eine gleichmäßige Wärmeverteilung im Gebäude erreicht und eine Überversorgung verhindert werden.
- „Mit einer funktionierenden Messinfrastruktur kann man die Unternehmen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in die Lage versetzen, mit einem vertretbaren finanziellen Aufwand Energieverbräuche in den Liegenschaften zu erzielen und auch zur kurzfristigen Senkung der CO2-Emissionen im Bestand beizutragen“, sagt Prof. Grinewitschus. „Für die kontinuierliche Potenzialhebung braucht es allerdings ein Monitoring – nicht eine einmalige Einstellungsaktion.“ Kurzum: Ein Energiemonitoring für jede Liegenschaft ist Voraussetzung dafür, um nachzuvollziehen, was, wann und wo im Wechselspiel von Gebäudetechnik und Mensch geschieht, um Fehler im System aufzudecken und zu beheben.
- Alle Beteiligten waren sicher, dass die durch BaltBest aufgezeigten Einsparpotenziale ohne großen Eingriff gehoben werden können. „Man braucht aber das Know-how, die Technik, die Aufmerksamkeit und das Bemühen bei allen Beteiligten auf Seiten der Mieter und der Vermieter, diese Potenziale zu erschließen“, sagt Prof. Grinewitschus. Er wird die Resultate aus BaltBest und das Know-how in Sachen Dateninfrastruktur und Monitoring der Immobilienwirtschaft und Energiedienstleistern kurzfristig mithilfe von Leitfäden und Workshops zur Verfügung stellen.
Der mittel- und langfristige Nutzen aus BaltBest
„BaltBest ist sehr wichtig für uns“, sagt EBZ-Vorstand Klaus Leuchtmann. Die Ergebnisse, Erfahrungen und Empfehlungen des Projekts werden in die Lehre an EBZ Berufskolleg, der EBZ Akademie und der EBZ Business School einfließen. Schwerpunktmäßig wird der Bachelor-of-Science-Studiengang „Nachhaltiges Energie- und Immobilienmanagement“ profitieren. Darüber hinaus hat die EBZ Akademie gemeinsam mit der EBZ Business School und der Initiative Wohnen.2050 den Zertifikatslehrgang „Klima-/ Energie- und Nachhaltigkeitsmanagement“ entwickelt. Denn der durch BaltBest aufgezeigte Handlungsbedarf und sein Gewinn können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Klaus Leuchtmann: „Ich bin fest davon überzeugt: Wenn es uns nicht gelingt, die Mieter und Mieterinnen der Wohnungsbaugesellschaften bei den Themen Klimaschutz und Heizverhalten mit an Bord zu nehmen, ihr Verhalten zu verstehen und es nach Möglichkeit zu ändern, wird das Projekt Klimawende scheitern.“
BaltBest im Detail
Das Forschungsprojekt BaltBest wurde vom Bundeswirtschaftsministerium mit 1,1 Millionen Euro gefördert und lief von Dezember 2018 bis zum November 2021. BaltBest steht als Akronym für „Einfluss der Betriebsführung auf die Effizienz von Heizungsaltanlagen im Bestand“ und versammelte ein breites Konsortium aus Wohnungsbaugesellschaften, Industriepartnern aus dem Heizungs- und Energiebereich sowie Wissenschaftlern unter Leitung der EBZ Business School.
Weitere Informationen sind im BaltBest-Aschlussbericht ausführlich dargelegt.
Das Projekt BaltBest bietet in Breite und Tiefe einen bisher nicht dagewesenen Einblick in die Wärmekette von Bestandsliegenschaften. Mit über 7000 Sensoren wurden 100 Mehrfamilienhäuser über die Infrastruktur des Energiedienstleisters Techem vermessen, mehr als 1200 Haushalte waren in unterschiedlicher Detailtiefe in die Untersuchungen einbezogen. Um die Energieeffizienz zu steigern, wurden in den Gebäuden 30 Heizkessel getauscht, mehr als 350 Einstellungen an den Anlagen modifiziert und deren Wirkung untersucht, in 202 Wohnungen smarte Thermostate installiert und eine App zur Nutzerassistenz getestet. Insgesamt wurden im Projekt mehr als 4 Mrd. Messwerte erfasst und ausgewertet. Flankiert wurde der technische Part des Forschungsprojekts durch über 250 gezielte Mieterbefragungen, die das Forschungsinstitut InWIS durchführte.
Die Fachtagung zum Projektende am 17. November 2021 versammelte online und vor Ort im EBZ rund 150 Vertreter und Vertreterinnen aus der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, dem GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, aus der Energiewirtschaft, der Wissenschaft und den Fachmedien. An der Abschlussdiskussion, moderiert von Prof. Grinewitschus, nahmen Dr. Ingrid Vogler (GdW), Prof. Dr.-Ing. Clemens Felsmann vom Forschungspartner TU Dresden, Joachim Ditzen (LEG/ESP), Elke Fischer (Vonovia), Karin Hendriks (Nassauische Heimstätte/Wohnstadt), Stefan Pilkowski (GWH), Andreas Schach (WBM) und Alexander Ubach-Utermöhl (Techem) teil.
Kontakt
Prof. Dr.-Ing. Viktor Grinewitschus
Professor für Energiefragen der Immobilienwirtschaft
EBZ Business School (FH) – University of Applied Sciences
Telefon: +49 (0) 234 9447-837
E-Mail: v.grinewitschus@ebz-bs.de